Beim Urban Exploring braucht man Nerven wie Indiana Jones: Hier geht es darum, verlassene Ort zu entdecken. Es gibt ungefährlichere Hobbys, doch die Faszination an den ‘Lost Places’ steigt immer weiter.
Ein Raum voller Staub und Schmutz. Kisten liegen umgekippt da, dazwischen ranken sich grüne Pflanzen – aber ein Detail passt nicht ganz. Etwas Glänzendes fängt den Blick des Betrachters, intakte, nur leicht verstaubte Gläser in bunten Farben liegen und stehen zwischen all dem Gerümpel. Das ist die Szenerie, die man in der verlassenen Glasmanufaktur Saint Lambert in Belgien vorfindet. „Das war der schönste Lost Place, den ich bisher gesehen habe“, erzählt Christian. Er ist ein sogenannter „Urbexer“ – er zieht in seiner Freizeit los, um verlassene Gebäude zu erkunden und zu dokumentieren. Die entstanden Fotos und Videos lädt er auf seinem Blog und anderen Social-Media-Kanälen hoch. Aus einer nächtlichen Schnapsidee, den verlassenen Bunker zu erkunden, welchen ein Freund beim Pilzesammeln entdeckt hatte, wurde eine Liebe zum Vergessenen.
Man hat das gleiche Hobby.
Doch nicht alle Lost Places sind so gut erhalten wie die Glasmanufaktur in Belgien: „Ich gucke im Vorfeld immer, ob es schon viele Bilder im Netz gibt. Wenn es jetzt eine Location ist, wo sehr viele Bilder auftauchen und vieles schon kaputt gemacht worden ist, vieles vollgesprüht ist, dann wird es für mich sehr uninteressant“, erzählt Christian. Ein Beispiel für einen fast schon überlaufenen Lost Place ist das verlassene Gefängnis Ulmer Höh in Düsseldorf. „Das war fast schon Tourismus“, so Christian. „Da war ich schon sehr erschrocken.“ Locations wie das Gefängnis oder auch das Haus Fühlingen bei Köln sind inzwischen bekannt und im Netz auch für Laien leicht zu finden. Wer allerdings wirklich geheime Lost Places finden will, ist auf persönliche Kontakte in der Community angewiesen, denn der sogenannte „Urbexer-Kodex“ verbietet es eigentlich, genaue Angaben wie Adressen oder gar Koordinaten ins Internet zu stellen. „Was ich mache mit meinem Blog ist da schon hart an der Grenze“, gibt Christian zu. Immer wieder bekommt er Nachrichten von anderen Urbexern, die sein Vorgehen nicht gutheißen. Insgesamt ist das Miteinander in der Szene jedoch entspannt. Auch wenn man andere Urbexer in einem Lost Place treffe, laufe alles ganz locker ab, so Christian. „Das ist nicht so, dass man sauer ist, weil noch jemand anders da ist, sondern man hat ja das gleiche Hobby. Wenn man jemanden trifft interessiert man sich ja auch für ihn, was er schon für Orte entdeckt hat, man kann voneinander profitieren. In Belgien habe ich mich mal mit französischen Urbexern ausgetauscht. Von ihnen habe ich einige Adressen bekommen, die extrem spannend sind.“
So ganz legal ist das Ganze allerdings nicht: Hat man keine Genehmigung zum Betreten eines verlassenen Ortes, begeht man damit meist Haus- oder Landfriedensbruch. Trotzdem ist der Respekt vor dem fremden Eigentum, laut Christian, sehr wichtig. Konkret bedeutet das, dass nur schon vorhandene Eingänge in das Gebäude benutzt werden. „Ich finde man muss das nicht auf die Spitze treiben in dem man Türen eintritt oder Fenster einschlägt, nur um irgendwo reinzukommen. Das gilt dann natürlich auch in einer Location, wenn ein Raum komplett verschlossen ist, dann wird dieser Raum halt nicht fotografiert, weil man nicht reinkommt“, erklärt Christian. Auch das Mitnehmen von „Souvenirs“ ist verboten, ebenso wie das Hinterlassen sämtlicher Spuren.
Doch auch bei allen Vorsichtsmaßnahmen ist Urban Exploring definitiv etwas für moderne Abenteurer.
Mit der Polizei hatte Christian in zwei Jahren Urbexing erst einmal eine Begegnung. Doch nicht nur auf diese kann man an Lost Places unter Umständen treffen: Neben Obdachlosen, die in solchen Gebäuden Zuflucht suchen, treiben sich auch Diebe herum, die es auf das Kupfer in den Kabeln der alten Gemäuer abgesehen haben. „Gerade verlassenen Kasernen werden auch sehr gern von rechtsradikalen Gruppierungen benutzt. Man weiß eben nie, wem man dort begegnet“, erzählt Christian. Er selbst geht deshalb niemals allein auf Erkundungstour und rät auch jedem davon ab: „Im besten Falle ist man zu dritt, eine Person ist verletzt, eine Person kann vor Ort blieben und die dritte Person holt Hilfe.“
Doch auch bei allen Vorsichtsmaßnahmen ist Urban Exploring definitiv etwas für moderne Abenteurer. Es geht um die Spannung, was einen hinter der nächsten Tür erwartet und nicht nur um tolle Fotomotive. Wer das Risiko eingeht, könnte mit einer einzigartig schönen, in jedem Fall aber mit einer denkwürdigen, Erfahrung belohnt werden. Für echte Urbexer gehören der Nervenkitzel und das Risiko wohl irgendwie dazu: Auf Christians Wunschzettel steht ganz oben ein Besuch in Tschernobyl, dem Ort in Europa, der wohl wirklich am verlassensten von allen ist.