Apocalypse Now!

Mein Fernseher versucht mich abzuhören. Kein Witz, es hat eine Weile gedauert, bis ich herausfand, wo man die Sprachsteuerung abschaltet, den W-Lan-Zugang und alles, was ein smartes Gerät so smart macht. Warum die Mühe, werdet ihr euch fragen. Weil mich der abhörende Fernseher doch zu sehr an das entsprechende Gerät aus George Orwells 1984 erinnerte.

Der reale Horror

Es ist nur eines von vielen Elementen des modernen Lebens, das so stark an einen dystopischen Roman erinnert, dass es einem Schauer über den Rücken jagt. Noch ein Beispiel gefällig? In Ray Bradburys Fahrenheit 451 werden die Fernseher so groß, dass sie ganze Wände bedecken, und Filme sind immer neue Aufgüsse von Klassikern. Unheimliche Parallelen zur Wirklichkeit, oder?

Die Zukunft hat uns also eingeholt. Einerseits ist unser Leben so bequem und angenehm wie nie zuvor in der Geschichte. Andererseits drohen wir in die Falle zu tappen, vor der uns Generationen von Schriftstellern gewarnt haben: Bequemlichkeit vor Freiheit zu stellen. Und ganz im Gegensatz zu den meisten utopischen Romanen wird dieser Umschwung ganz ohne Propaganda und Indoktrination geschehen, ohne dass irgendjemand uns dazu zwingt. Außer vielleicht der Teilhabe.

Es ist noch nicht einmal der Gruppendruck, der mich dazu bringt einen eigentlich unnötigen smarten Fernseher, oder ein ebenso unnötiges Smartphone zu kaufen und zu benutzen. Wenn ich aber am gesellschaftlichen Leben Anteil haben will, muss ich mich mit den Medien auseinandersetzen. Ich muss neue Geräte kaufen, um mit anderen kompatibel zu sein, mittlerweile ist ein gesellschaftliches Leben ohne Anpassung an die Technik unmöglich. Und diese Technik ist überwachend, übergriffig, kontrollsüchtig. Allumfassend und fragil.

Die Tücken des Fortschritts

Wer die uralte Geschichte The Machine Stops (1909) von E. M. Forster kennt, denkt bei jedem kurzen Stromausfall an das Ende der Zivilisation. Wir sind so abhängig von der Technik, von der Energieversorgung und vom globalen Handel, dass auch nur kleinste Lücken zu großen Katastrophen führen können. Bei Forster ist es die Maschine, die für die Versorgung der Bürger mit allem Lebensnotwendigen sorgt, von der Nahrung bis zur Kultur. Alles, was der Mensch benötigt, wird in seine Wohnung geliefert, ein Leben außerhalb ist nicht nur nicht mehr nötig, es gilt auch nicht als erstrebenswert. Sind wir hiervon noch weit entfernt?

Die Maschine, die uns mit allem versorgen kann, ist das Netz. Wenn ich will, muss ich heute in einer Großstadt meine Wohnung nicht mehr verlassen. Ich kann alles, was ich benötige, in meiner Wohnung bekommen, ohne in Interaktion mit anderen Menschen treten zu müssen. Bis auf wenige Ausnahmen bei Behörden trifft dies auf alle Lebensbereiche zu. Werden wir auch elend sterben, wie Forsters Bürger, nur weil die Maschine eines Tages aufhört zu liefern?

Ausgeliefert

Diese Abhängigkeit liefert uns aber nicht einer seelenlosen Maschine aus. Denn hinter der allgegenwärtigen Technik steht heute keine Maschine, sondern Menschen. Menschen, die privaten Konzernen angehören, wie Google und Facebook, oder auch übermächtigen Staatsapparaten wie in China. Diesen Menschen liefern wir uns freiwillig aus, indem wir unser Leben gläsern machen. Die Vorhänge vor dem Schlafzimmerfenster züchtig zugezogen, gewähren wir jedem Interessenten Einblicke über Instagram.

Dass transparente Wände die Kontrolle erleichtern, wusste schon Jewgenij Samjatin 1920. In seiner frühen dystopischen Erzählung Wir sind die Menschen in gläsernen Wohnungen untergebracht, was sie auf den Weg der Tugend bringen soll. Denn das Diktat dieser Gesellschaft heiß: Effizienz. Die Menschen werden nach wissenschaftlichen Maßstäben optimiert um den höchstmöglichen Nutzen für die Gemeinschaft zu erbringen. Und heute? Der Mensch optimiert sich freiwillig selbst, um weniger Zeit zu verlieren, weniger Schlaf zu brauchen, produktiver zu arbeiten, gesünder zu leben. Und wofür? Für die Gemeinschaft, für die Anderen? Nein, hier übertrifft die Realität sogar die Utopie. Tatsächlichen Nutzen ziehen aus dieser Optimierung weniger die Anwender selbst oder die Gesellschaft. Bei einer Steigerung der Produktivität und in etwa gleichbleibender Bevölkerung müsste sonst zumindest die Arbeitszeit drastisch sinken. Dagegen wurde unlängst die mögliche Tagesarbeitszeit in Österreich sogar auf zwölf Stunden erhöht und die Lebensarbeitszeit erhöht sich mit jeder Erhöhung des Renteneintrittsalters.

Nein, die Profiteure dieser Optimierung sind einige wenige, die „Elite“ der Gesellschaft. Die Spaltung in Arm und Reich, die in Europa im 19. Jahrhundert ihrem bisherigen Höhepunkt fand, ist wieder sichtbar. Unzählige Studien deuten auf große Diskrepanzen in der Gesundheit, der Lebenserwartung und der Bildung der verschiedenen Schichten hin. Ist das Szenario, das H. G. Wells in der Zeitmaschine (1895) beschreibt, so abwegig? Dass sich aus den unteren und den oberen Gesellschaftsschichten zwei unterschiedliche Spezies entwickeln, mag noch weit entfernt sein, doch die Abschottung hat durchaus das Ausmaß der Zeit vor der Oktoberrevolution erreicht. Und trotz der reißerischen Berichterstattung bleibt der große revolutionäre Aufschrei aus, im Vergleich zu den Aufständen Anfang des 20. Jahrhunderts ist die Reaktion eher verhalten.

Bequemlichkeit siegt

Dafür sorgen einerseits der unmittelbare physische Komfort, andererseits das politische Klima. Der allgemeine Wohlstand ist so hoch, dass wie in Aldous Huxleys Brave New World die Menschen vom angenehmen Leben eingelullt werden. Diese Vision ist eben auch nur für manche, besonders freiheitsliebende Menschen eine dystopische. Garantierter Wohlstand, Frieden, Bequemlichkeit, ein schönes, wenn auch begrenztes Leben erscheinen vielen erstrebenswerter als das wesentlich ungemütlichere und anstrengendere Leben in einer freien Gesellschaft. Es ist schon jetzt zu merken, wo wir noch die Möglichkeit einer Entscheidung haben – wer entscheidet sich schon für überwachungsfreie und sichere Software, wenn diese entweder Mühe oder Geld kostet? Wo doch alles gratis und bequem verfügbar ist, mit einem Klick.

Dabei sind diese dystopischen Visionen Jahrzehnte alt. Doch ihnen ergeht es wie Kassandra. Sie prophezeien Unheil, dessen Ankunft sichtbar ist, und das trotzdem nicht aufgehalten wird. Die Werke des Cyberpunk, die ab den 80er Jahren vor den Folgen der beginnenden digitalen Revolution warnten, sind noch schneller in der Realität angekommen. Wie in William Gibsons Neuromancer und Neal Stephensons Snow Crash ist die Macht der Konzerne unermesslich, die Welt drängt sich in riesige Metropolen zusammen und der Staat zieht sich immer mehr als Kontrollinstanz zurück.

Zurück in die Beschaulichkeit

Nicht umsonst wünschen sich viele Menschen eine erinnerte Sicherheit zurück, eine idyllische Welt der Heimattümelei, in der es keine globalisierte Wirtschaft gab, keine sich ständig verändernde Umgebung, keinen Druck zur Optimierung. Dieser Wunsch nach Stabilität, ja sogar nach Stagnation ist eine Entwicklung, die in dieser drastischen realen Ausprägung nicht wirklich von Autoren imaginiert wurde. Ein Trump, eine Erdogan, ein Putin sind in ihren Rollen so prägnant wie Karikaturen. Solche Gestalten erschienen seit Hitler, Stalin, Mussolini und Mao undenkbar. Die Welt wird von der Dystopie zur Lachnummer. Wenn die Realität die Fiktion überholt, wie kann es da noch revolutionäre Literatur geben? Wovor sollen die Schriftsteller denn noch warnen, was nicht bereits eingetreten ist?

Spätestens seit dem neuen bayerischen Polizeigesetz, das erschreckend an Philipp K. Dicks Minority Report (1956) erinnert, bleibt einem aber das Lachen im Halse stecken. Zu sehr stecken wir schon mittendrin in der Zukunft. Und zwar nicht in der friedlichen, humanen eines Star Trek, sondern am Anfang der gesammelten Alpträume des 20. Jahrhunderts.

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