Depression | @ 2021 Couch & Chaos | Annie Spratt / Unsplash | couchundchaos.de

Wie lebt man mit Depressionen? – Ein Interview mit Betroffenen | Teil 1 | Tabuschleife

Saskia und Charlie sind zwei Menschen mit der gleichen Diagnose: Depressionen. Dass Depressionen aber nicht gleich Depressionen sind, wird im Interview mit den beiden schnell deutlich. Sie berichten von ganz individuellen Schwierigkeiten, Symptomen und ihrem jeweiligen Krankheitsverlauf. So bekommst du einen spannenden und berührenden Einblick in das Leben mit Depressionen – und wie die zwei außergewöhnlichen Menschen dennoch kämpfen und ihren Alltag meistern. In Teil 1 unseres Interviews erfährst du, wie es mit der Therapiesuche mit Depressionen laufen kann.

Erzähl am besten erst mal ein bisschen über dich selbst, wie alt bist du, was machst du so in deinem Leben?

Saskia: Ich bin 24 Jahre alt und studiere im Moment in Stuttgart Informationswissenschaften. Nebenbei habe ich drei Nebenjobs und versuche meinen ersten Roman zu schreiben. In meiner Freizeit beschäftige ich mich vor allem mit Literatur und Medien aller Art – eine besondere Schwäche habe ich für Japan und lerne deshalb auch gerade Japanisch.

Charlie: Ich bin 23 Jahre alt, ich bin momentan im ersten Ausbildungsjahr von der praxisintegrierten Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher. Davor habe ich zwei Jahre in der Gastronomie gearbeitet. Privat mache ich viel Kunst in einigen verschiedenen Formen, ich game und bin auch Mod bzw. Admin auf einem recht großen Discord-Server. Außerdem höre ich viel Musik, auch weil ich über Musik viel verarbeite.

Verdacht und Diagnose

Wann hast du zum ersten Mal den Verdacht gehabt, an Depressionen leiden zu können?

Saskia: Ehrlich gesagt hatte ich gar keinen Verdacht. Als ich 14 oder 15 war, schwankte meine Stimmung zwischen aggressiv und todunglücklich. Meine Eltern haben gemerkt, dass etwas nicht mit mir stimmte. Aber erst nach der Diagnose wurde die Depression festgestellt. Das hatte mich ganz schön überrascht.

Charlie: Der Verdacht an sich hat sich so ganz langsam erst entwickelt, weil man ja gerade in jungen Jahren oft noch gar nicht richtig versteht, was genau da eben passiert. Oft kennt man das noch gar nicht weiß nicht, was Depressionen überhaupt sind. Aber ich wusste recht früh, mit ca. elf, dass auf jeden Fall irgendwas mit mir „nicht stimmt“. Ich habe zu der Zeit viel die Schule geschwänzt und hatte immer irgendwie Bauch- bzw. Magenweh.

Bist du diagnostiziert? Wenn ja, seit wann? Und hast du auch noch andere Diagnosen?

Saskia: Meine Depressionen wurden 2010 diagnostiziert. Weiter habe ich auch diagnostizierte Zwangsstörungen und einen hochfunktionalen Autismus. Es kommt also einiges zusammen.

Charlie: Diagnostiziert sind bei mir eben Depressionen, Social Anxiety, eine Panikstörung und ADHS.

Wie hast du darauf reagiert? Was waren deine ersten Schritte?

Saskia: Im ersten Moment war ich ein bisschen geschockt. Es war schwierig für mich zu akzeptieren, dass ich anders war als die anderen – dieses Problem habe ich heute auch noch. Ich glaube auch, dass ich ganz lange nicht verstanden habe, was es wirklich heißt Depressionen zu haben. Ich habe immer geglaubt, dass eine Therapie mache und dann alles weg ist – heute weiß ich, dass ich da sehr naiv war. Nach der Diagnose habe ich dann mit einer Kinder- und Jugendtherapie begonnen.

Charlie: Mit elf war ich bei einem vom Jugendamt zugeteilten Psychologen, der nach einem Gespräch schon direkt gesagt hat, dass ich ins Heim muss, wenn ich nicht aufhöre, die Schule zu schwänzen. Die Aussage war sowohl für mich als auch für meine Mama so krass, dass wir da nicht wieder hin sind.

Depression und Psychotherapie

Warst oder bist du in therapeutischer Behandlung?

Saskia: Ich war drei Mal in therapeutischer Behandlung. Direkt nach der Diagnose mit 15 war ich bei einer Kinder- und Jugendtherapie. Die war eigentlich ganz gut und hat mir teilweise geholfen. Durch meinen Umzug nach Baden-Württemberg musste ich die Therapie unterbrechen und habe sie in Stuttgart fortgesetzt. Leider hat mir ab diesem Zeitpunkt die Therapie nicht mehr geholfen.
Meine Therapeutin hat mich eigentlich nur nach den aktuellen Geschehnissen gefragt und ich habe mich nicht verstanden gefühlt, deshalb bin ich einfach irgendwann nicht mehr hingegangen. Jetzt bin ich seit September wieder in einer Therapie und bin sehr glücklich damit, weil meine Therapeutin spitze ist und mich versteht.

Charlie: Aktuell bin ich in therapeutischer Behandlung bei einer Psychologin, bei der ich jetzt auch schon seit circa vier Jahren bin. Ich hatte davor mal eine andere, die damals von der Klinik, in der ich 2016 war, zugeteilt wurde. Aber die wurde mir nach einer Weile unsympathisch und dann habe ich eben die Therapeutin gewechselt.

Würdest du auch anderen Betroffenen eine Therapie empfehlen?

Saskia: Ich würde allen eine Therapie empfehlen, auch wenn es nicht leicht ist einen Platz zu bekommen. Es ist einfach hilfreich mit anderen Menschen über seine Probleme zu reden und vielleicht das eigene Bild einmal ins richtige Licht gerückt zu bekommen. Natürlich muss man beachten, dass die Therapie nur etwas bringt, wenn man ganz ehrlich ist. Deshalb ist es wichtig, dass man sich mit dem jeweiligen Therapeuten versteht. Falls man nicht sofort einen Therapieplatz bekommt, dann können sicher auch Selbsthilfegruppen oder online Foren helfen.

Charlie: Auf jeden Fall, wenn man die Chance dazu hat. Ich finde, man sollte es auf jeden Fall versuchen. Bestimmt hilft das nicht jedem und ist auch für manche Leute sehr schwer, aber man sollt es auf jeden Fall versuchen.

Depression und Wartezeit

Wie hat sich die Suche nach einem Therapieplatz gestaltet?

Saskia: Die beiden Therapieplätze für die Kinder- und Jugendtherapie habe ich leicht erhalten, weil Kinder und Jugendliche oftmals schneller einen Platz bekommen. Meinen Therapieplatz für die jetzige Therapie habe ich nur mit sehr viel Glück bekommen. Ich wollte schon im Oktober 2019 mit einer Therapie beginnen, weil ich mit meinen Nerven am Ende war. Aber da gab es nur Wartelistenplätze und deshalb wurde die Zeit mit Tabletten überbrückt.
Im Juli sagte mit dann mein Arzt, dass in meinem Landkreis, der viel zu wenig Therapeuten hat, eine neue Therapeutin ist. Ich habe am selben Tag noch eine E-Mail geschrieben und einen Platz bekommen – aber das nur, weil ich vormittags Zeit hatte. Zwei Tage später gab es auch nur noch Wartelistenplätze.
Es war für mich eine schwierige Zeit einen Platz zu bekommen, weil ich nicht bei jeder Sprechstunde alle meine Probleme von vorne erzählen wollte. Ich kam mir da einfach doof vor. Außerdem schränkt mich eine meiner anderen Krankheiten so ein, dass ich große Probleme habe zu telefonieren – damit ist man fast aufgeschmissen, wenn man einen Arzt sucht.

Charlie: Ich hatte tatsächlich recht viel Glück kann man sagen. Bei der ersten Therapeutin, der ich eine Mail geschrieben habe und auch ein Erstgespräch bekommen habe, habe ich dann auch einen Therapieplatz bekommen. Mit der komme ich auch sehr gut klar und ich mag sie echt.

In Teil 2 geht es weiter und du erfährst, was es heißt im Alltag mit Depressionen umzugehen und mit welchen Vorurteilen man konfrontiert wird.

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