Thomas Potthast ist Professor für Ethik, Theorie und Geschichte der Biowissenschaften an der Universität Tübingen. Das Stichwort „Klimawandel“ ist für ihn kein CO2-Schreckgespenst aus ferner Zukunft, sondern alltägliches Forschungsgebiet. Im Interview erklärt er, warum wir alle uns mehr mit dem „unendlichen Sommer” auseinandersetzen sollten – zur Verbesserung unserer eigenen Lebensqualität.
Wie sieht Ihre Zukunftsvision für 2100 aus?
Wenn ich eine Vision formuliere, meine ich damit eher eine Utopie, die ich mir wünsche. Diese Utopie sieht so aus, dass im Jahr 2100 alle Menschen auf regenerative Energiequellen umgestiegen sind und alle Menschen Konsummuster entwickelt haben, die nicht auf Kosten der Umwelt und anderer Menschen gehen. Diese Vision beinhaltet auch, dass der Fleischkonsum sich reduzieren wird. Wir werden gleichzeitig im Jahr 2100 mit der Zunahme der digitalen Lebensweise uns umstellen und das könnte dazu führen, dass wir sinnvollerweise gar nicht mehr 40, 60 oder 80 Stunden die Woche arbeiten, sondern die Zeit unserer Erwerbsarbeit reduzieren und dafür die Zeit für Reproduktionsarbeit, für soziale, politische Arbeit und für Künstlerische vielleicht erhöhen. Aber da befinden wir uns schon sehr im Bereich des Wünschenden.
Also könnte in der Digitalisierung eine Chance zur Bekämpfung der globalen Erwärmung liegen?
Ich würde davor warnen zu glauben, dass durch die Digitalisierung weniger Ressourcen verbraucht würden. Die Digitalisierung wird aber auch bestimmte mechanische Arbeiten, erübrigen und das ist wie üblich eine zweischneidige Sache: Es wird dadurch Arbeit wegfallen. Die Idee, dass alle Bürger so etwas wie eine langjährige Erwerbsbiografie haben, dass sie in angestellten Verhältnissen so und so lange arbeiten. Das wird sich ändern und da spielt die Digitalisierung eine Rolle. Die Digitalisierung spielt jetzt schon eine riesige Rolle in der Diskussion um den Klimawandel, weil selbstverständlich die ganzen Modelle, nach denen wir den Klimawandel berechnen, nur funktionieren, weil wir leistungsfähige, digitale Rechner haben. Und die werden wir weiterhin in Zukunft auch brauchen.
Wenn der Fleischkonsum zurückgehen muss, freuen Sie sich dann über den Vegan-Trend, den es zurzeit bei jungen Leuten gibt?
Ich persönlich freue mich sehr darüber. Ich bin nicht grundsätzlich gegen Fleischkonsum, denn wenn man ein vegetarisches Leben anstrebt und weiterhin Milchprodukte isst, dann braucht man eine Landwirtschaft, die sich auch Gedanken macht, was sie mit ihren Nutztieren tut. Aber das muss einhergehen mit einer artgerechten Tierhaltung und die ist derzeit in 95 Prozent der Fälle nicht gegeben. Das muss sich aus tierethischen Gründen ändern, weil wir leidensfähige Wesen nicht so behandeln sollten, wie sie jetzt in der Massentierhaltung behandelt werden. Zweitens sollten wir den Fleischkonsum reduzieren, weil wir nicht so viel Land für den Futtermittelanbau verwenden sollten und dürfen, wie das derzeit der Fall ist. Es gibt diese lustige Frage, ob denn genug Soja da wäre, wenn alle Menschen vegan leben würden und es wäre selbstverständliche genügend Soja da, wenn das jetzt angebaute Soja nicht in die Tierfütterung ginge.
Und genügend Fleisch ist nicht für alle da?
Jeden Tag ein Schnitzel für alle auf dieser Welt in den nächsten 50 bis 100 Jahren ist, mit allem was wir heute wissen, mit Bezug auf Tierwohl, mit Bezug auf CO2-Emmissionen, mit Bezug auf Landnutzungskonflikte, nicht plausibel denkbar.
Habe ich als Einzelperson eine Verantwortung in Bezug auf die globale Erwärmung?
Die Frage nach der Verantwortung beantworte ich ganz klar mit Ja. Alle Leute kümmern sich doch darum, dass es ihren Kindern und näheren Verwandten gut geht, und wenn man das ein bisschen universalisiert, kommt genau das raus, was wir im Bereich nachhaltige Entwicklung wollen: Eine Entwicklung, die allen Menschen die Möglichkeit gibt, ein gutes Leben führen zu können.
Und da muss sich im Kopf was ändern. Der Moment, in dem ich sage, dass ich auf Fleisch verzichte, da habe ich im Grunde genommen die Diskussion schon falsch geführt. Die Frage ist eher: Wozu brauche ich eigentlich dieses tägliche Schnitzel? Ist es das, was mein Leben gut macht? Das nennt man in der Nachhaltigkeitsdiskussion Suffizienz. Was macht unser Leben zu einem guten Leben? Da gibt es inzwischen wunderbare empirische Glücksforschung dazu, dass das zweite und dritte Auto und die dritte und vierte Million und vielleicht eben auch das fünfte und sechste Schnitzel in der Woche uns nicht glücklicher machen, sondern wir uns schlicht und ergreifend daran gewöhnt haben. Es geht nicht um eine Moralpredigt mit erhobenem Zeigefinger, sondern es geht darum die Frage zu stellen, was wirklich wichtig ist für uns im Leben
Kann ich als Einzelperson etwas gegen die globale Erwärmung tun?
Ja selbstverständlich! Ich habe die Möglichkeit, meinen Fleischkonsum zu reduzieren, ich habe die Möglichkeit Fairtrade und Bio einzukaufen, ich habe die Möglichkeit, mich anders durch die Welt zu bewegen als mit einem privaten PKW und ich habe auch die Möglichkeit, vielleicht weniger durch die Gegend zu fliegen, als das zumindest viele, in den industrialisierten Ländern tun. Es geht ja nicht nur darum, dass mein ganz individueller Beitrag den Klimawandel stoppt, sondern dass ich die Dinge tue, die ich für richtig erkenne.
Es gibt Dinge, die überraschend hohe Konsequenzen haben. Dazu gehört der Fleischkonsum und dazu gehört das Fliegen.
Was halten Sie von der Idee, dass Länder, die weniger Emissionen verursachen, ihre „Emissionsrechte“ an andere Länder verkaufen?
Wenn wir über Länder reden, vergessen wir, dass es innerhalb der Länder extreme Unterschiede gibt. Wir sind ja oft geneigt zu sagen „arme Länder wie xy“ und dann kommt irgendein afrikanisches Land. In diesen Ländern gibt es Eliten, die materiell extrem gut ausgestattet sind. Wir müssen aufpassen, nicht zu übersehen, wie extrem soziale Unterschiede innerhalb von Ländern sind. Der zweite Punkt ist, dass wir möglicherweise mit solchem Emissionshandel nicht dazu kommen, dass insgesamt Gerechtigkeit weiter um sich greift. Denn so können diejenigen, die über viel Geld verfügen auch ihren Lebensstil unverändert weiterführen und andere können das nicht. Ich würde einen Emissionshandel nicht grundsätzlich ausschließen. Aber der hat ja ein bestimmtes Ziel: Emissionen zu vermeiden. Also müssen diese Zertifikate teuer werden und je teurer, desto mehr haben wir dann wieder ein Gerechtigkeitsproblem.
Man soll also nicht moralischen Vorgaben folgen, sondern selbst überzeugt sein von der Bedeutung vom Kampf gegen den Klimawandel?
Alles das, was ich an moralischen Handlungen mache, sollte ich aus innere Überzeugung machen, sonst ist es schlichtweg gelogen. Das ist der Unterschied zum Recht. Moral und Ethik ergeben nur dann Sinn, wenn ich tatsächlich überzeugt bin. Wir leben aber so zusammen, dass wir auch Regeln brauchen und das ist dann die Aufgabe der Politik. Auf der Ebene ist dann auch klar, dass es eben nicht nur an jedem und jeder Einzelnen hängt, dass es im Klimaschutz vorangeht, sondern dass wir auf jeden Fall politische Regelwerke brauchen. Sonst wäre das eine moralische Überforderung. Wenn ich mir bei jeder täglichen Handlung überlege, ob ich damit das Klima zerstöre oder nicht ist das keine gute Sache.
Apropos Politik: Der neue Präsident der Vereinigten Staaten, Donald Trump, hat schon vermehrt Zweifel am Klimawandel geäußert. Schrumpft ihrer Meinung nach das Vertrauen in die Wissenschaft?
Wir sind als WissenschaftlerInnen dazu da, gesicherte Erkenntnisse zu produzieren. Dabei wissen wir, dass alle unsere Erkenntnisse vorläufig und veränderbar sind. Wenn sie das nicht wären, dann wäre das keine Wissenschaft, sondern Dogma. Das einzig unveränderliche Wissen ist kein wissenschaftliches, sondern religiöses. Damit sind wir in einer schwierigen Rolle in der Öffentlichkeit. Der Konsens in Bezug auf die möglichen Folgen des Klimawandels ist groß genug, um zu sagen, dass es moralisch und politisch richtig ist den Klimawandel zu verlangsamen oder zu stoppen. Selbst wenn wir in jedem kleinen Detail uns irren könnten, sind die großen Richtungen klar. Die schwierige Aufgabe der Wissenschaften ist jetzt genau auf diesem Grad weiterzugehen und zu sagen, dass es Unterschiede gibt zwischen gesicherter und wenig gesicherter und völlig ungesicherter Erkenntnis. Man muss also selbstkritisch sein, und in einer bestimmten Art des politischen Fundamentalismus gibt es diese Art von Kritik und Selbstkritik nicht.
Verleugnen Menschen aus Angst vor Verantwortung den Klimawandel?
Wenn ich mir die ganze Frage des Klimawandels ernst vor Augen führe, dann hat das zur Konsequenz, dass ich manche meiner Lebensmuster radikal ändern muss. Ich habe das Gefühl, dass es nicht nur Politiker gibt die den Klimawandel leugnen. Sehr viel mehr Leute als nur die Gewählten haben Angst davor, wenn jemand grundsätzlich bestimmte Lebens- und Konsummuster in Frage stellt.
Welche Folgen hat der Klimawandel neben den naheliegenden noch?
In vielen Küstenbereichen, aber auch entlang von Binnengewässern wurde so gebaut, dass kein Platz mehr da ist, wenn eine Sturmflut sich ihren Raum sucht oder ein Fluss über die Ufer tritt. Das ist ein Riesenproblem.
Ein anderes ist der Verlust von Tier- und Pflanzenarten, die mit dem Tempo der Veränderung nicht klarkommen, was dann zur Folge hat, dass sich möglicherweise die gesamten ökologischen Vernetzungsmuster ändern. Was auch überhaupt nicht überschätzt werden kann ist die Frage, wo man eigentlich mit welchen Pflanzen noch Ackerbau betreiben kann, wenn der Klimawandel die gut bewährten Sorten nicht mehr wachsen lässt. Das wird die gesamten Landnutzungsmuster in der Welt umwerfen.
Das sind die dräuenden Szenarien. Wir sollten aber nicht sagen: „Irgendwann später wird es mal ganz schlimm.“ Es ist jetzt schon ganz schlimm für etliche Menschen dieser Welt. Diese Perspektive sollten wir nicht außen vor lassen.
Durch den Klimawandel wird das Leben auf der Erde nicht aussterben aber es geht ja in dieser Diskussion nicht um das nackte Überleben von wenigen Spezies. Sondern es geht primär darum, dass Menschen ein menschenwürdiges gutes Leben führen können und Verantwortung haben für leidensfähige andere Lebewesen. Was entscheidend ist: Nur wir Menschen sind verantwortungsfähig. Wenn ein Meteorit einschlägt und sich das Klima ändert, dann kann niemand etwas dafür. Aber wenn Menschen immer mehr fossile Brennstoffe verfeuern und dadurch der Treibhausgasanteil in der Atmosphäre so stark steigt, dann sind diese Handlungen Menschen zuzurechnen. Insofern ist die Frage der Verantwortung ganz klar.
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