In der heutigen Gesellschaft wird es zwar immer normaler „alternative Lebensstile“ zu akzeptieren, wie man unschwer am neuen Bildungsplan erkennen kann, aber es gibt doch noch viele sexuelle Orientierungen und Identitäten die schlichtweg ignoriert oder nicht validiert werden. Genau das passiert wenn es um das Thema Asexualität geht.
„Wie du hattest noch nie Sex?“ Das Mädchen, dass mich das vor ein paar Jahren fragte, starrte mich ungläubig an. „Bist du abstinent oder wie das heißt?“ Ich erklärte ihr, dass es zwischen Abstinenz und meiner Situation einen gewaltigen Unterschied gibt. Ich war zwar auf einer kirchlichen Privatschule als die Frage aufkam, aber ich hielt mich nicht wegen meinem Glauben zurück, auch wenn das aus heutiger Sicht ein einfacherer Grund wäre, sondern ich fühlte einfach nicht dieses körperliche Verlangen.
Für die zwei Mädchen, die mich in meiner Freistunde ausfragten war das gar nicht in Ordnung, sie konnten das überhaupt nicht nachvollziehen und gingen noch einen Schritt weiter. „Wie kannst du da keinen Bock drauf haben? Sex ist das Beste! Also ich könnte nicht ohne leben.“ Genau solche Aussagen sorgen dafür, dass ich mich sehr fremd auf dieser Welt fühle. An diesem Punkt der Konversation wurden beide Seiten immer frustrierter. Die zwei Mädchen wegen ihrem Fehlenden Verständnisses der Situation und ich aus genau dem selben Grund.
Als ich dann sagte, dass ich mir nicht vorstellen könne mit irgendjemanden ins Bett zu steigen kam der Satz, den ich bisher von beinahe jeder Person gehört habe, mit der ich mich darüber unterhalten habe: „Du hast einfach noch nicht den Richtigen dafür gefunden.“
Natürlich variiert die Aussage je nach Situation, andere Spitzenreiter sind: „Ich hab auch mal gedacht ich wäre asexuell, aber dann habe ich meinen jetzigen Partner gefunden.“, oder „Mit der Richtigen Person klappt das dann schon.“ Es klingt auf jeden Fall immer so, als wäre etwas falsch an meiner Situation, oder ich hätte irgendein Problem wofür man aufmunternde Worte bräuchte. Aber wieso soll es ein Problem sein, dass ich ganz offen sage: Ich komme sehr gut ohne Sex aus.
Das einzige Problem, dass ich habe ist, wenn Menschen sagen es gäbe Asexualität nicht.
Als ich mit 17 die erste dieser Konfrontationen hatte, da ich mich nie davor mit Menschen über so etwas unterhalten habe, bin ich erstmal in die Internetsuche abgetaucht und habe auf etlichen Foren und Blogs gesehen, dass es vielen Menschen so geht wie mir. Viele haben ähnliche Erfahrungen und fühlen sich nur wohl im Internet ihren Gedanken freien Lauf zu lassen. Ich habe mir damals meinen eigenen Blog erstellt und mit vielen Leuten geschrieben.
Das alte Stigma, dass man sich nicht mit fremden im Internet unterhalten soll ist etwas veraltet. Gib deine Kontaktdaten nicht preis, triff dich nicht mit Leuten die Du nicht kennst, aber unterhalte dich mit ihnen! Nur so hab ich von so vielen Sexualitäten gehört die es gibt. Das Wort, das immer hängen blieb war „Asexualität“. Auch ich habe früher gedacht, dass es so etwas nicht gibt, auch ich bin in der Gesellschaft groß geworden, die unter dem Motto „Sex sells“ (Sex verkauft) steht und es eigentlich unvorstellbar ist, dass man daran kein Interesse haben könnte.
Je mehr ich mich in die Materie reingelesen habe, desto mehr Dinge habe ich gefunden, von denen die allgemeine Gesellschaft gar nicht spricht. Wie zum Beispiel den Unterschied zwischen sexueller und romantischer Anziehung zwischen Menschen. Ich kann eine Beziehung führen, obwohl ich asexuell bin, da ich romantische Gefühle für meinen Partner hegen kann. Es gibt auch aromantische Menschen, die einfach keine romantischen Gefühle für einen Menschen entwickeln können. Dazu kommt, dass es im sexuellen und romantischen Spektrum auch noch Unterschiede geben kann, wie dass ein homosexueller Mann auch biromantisch sein kann. Da aber unsere Gesellschaft sagt, dass nur unsere sexuelle Orientierung zählt, werden diese Menschen höchstwahrscheinlich einen Teil ihrer Orientierung nie vollständig ausleben können.
Ich war nie ein Fan von Labeln und Bezeichnungen für Menschen, aber heute, dank meiner ausgiebigen Recherche der menschlichen Sexualität, liebe ich das Schubladendenken für solche Dinge. Ich würde nie Jemanden in eine Schublade stecken, wenn er sich nicht darin wohl fühlt, oder ich sage auch nicht, dass wenn man einmal ein Label hat, man es für immer hat, aber so ein Label, eine Bezeichnung, kann einem ein Zugehörigkeitsgefühl geben, dass sie sonst nicht bekommen. Als ich mich mit dem Label der Asexualität angefreundet habe und seit dem auch sehr offen damit umgehe, habe ich meine Community gefunden in der ich meine Erfahrungen teilen kann. Wenn man ohne Label zufrieden ist, ist das natürlich auch kein Problem, man muss es ja nicht wie einen Stempel mit sich rumtragen.
Das einzige Problem, dass ich habe ist, wenn Menschen sagen es gäbe Asexualität nicht. Sie kommen mit dem Argument, dass Menschen Tiere sind und Tiere haben eben diesen Trieb. Aber woher wollen wir wissen, dass alle Tiere jeder Tierart diesen Trieb haben? Wir unterscheiden uns so weit von Tieren, dass wir einen Weg gefunden haben, wie wir Sex nur zum Vergnügen haben können, ohne das Bedürfnis nach Fortpflanzung, wieso sollten wir dann genau wie der Rest der Tierwelt sein? Andere Leute sagen, dass Asexualität von einem Ungleichgewicht der Hormone kommt, aber auch das wurde als falsch bewiesen. Ja, ein Ungleichgewicht der Hormone im Körper eines Menschen kann das Fehlen von sexuellen Trieben hervorrufen, aber nicht jeder, der sich als asexuell bezeichnet hat eben dieses Ungleichgewicht.
Asexualität existiert. Wenn Du dich genauso fühlst ist das okay.
Andere sagen widerum, dass Asexualität von traumatischen Ereignissen stammt. Und obwohl es viele Menschen gibt, denen das tatsächlich so geht, dass sie nach Erlebnissen wie Vergewaltigungen oder Missbrauch jeglichem Körperkontakt abschwören oder sogar postraumatische Episoden dabei haben, so sind das nicht alle der Community. Nicht jeder asexuellen Person ist etwas traumatisches widerfahren, man kann auch nur gute Erfahrungen oder gar keine Erfahrungen gemacht haben und dennoch sagen „Ich brauche keinen Sex“. Aber das gleiche gilt natürlich auch auf der anderen Seite. Nicht jeder Fall von Missbrauch ruft Asexualität hervor. Viele sagen, dass sie mit dem richtigen Partner sich wieder annähern konnten und anderen fehlt einfach dieser Kontakt. Wenn das Bedürfnis und das Verlangen stark ist, kann es sein, dass manche trotz Trauma und Flashbacks noch sexuellen Kontakt mit Menschen suchen.
Man kann viel argumentieren wieso es unmöglich sei, dass ich mich so fühle wie ich mich fühle, man kann sagen, dass es so etwas wie Asexualität nicht gibt, aber ich stehe hier als lebendes Beispiel dafür, dass es so etwas gibt und dass es möglich ist kein körperliches Verlangen nach anderen Menschen zu haben.
Asexualität ist wie Transsexualität. Für jeden anders. Ich kann nicht für alle sprechen, manche können sich nicht mit meiner Meinung identifizieren. Ich diene lediglich als Beispiel für eine Art der Asexualität. Es gibt sogar noch Untergruppen auf dem Spektrum der Asexualität, für die ich definitiv nicht sprechen kann.
Asexualität existiert. Wenn Du dich genauso fühlst ist das okay. Wenn Du dich anders fühlst ist das ebenfalls okay. Es fehlt dieser Welt deutlich an Akzeptanz und hoffentlich wird sich das irgendwann ändern und man muss Andere nicht heruntermachen für ihre Gefühle.