Wir verschließen ständig die Augen vor der Realität, ohne es wirklich zu wissen. Doch weshalb entscheiden wir uns dafür, die Tatsachen zu leugnen, an unsere eigenen kleinen Lügen tatsächlich zu glauben?
Wir Menschen lügen oft und gerne. Egal ob es sich um die Wahlversprechen von Politikern handelt, eine Ausrede für Unpünktlichkeit oder einfach nur das beschönigende Ausschmücken einer Anekdote. Lügen, egal, ob es reflexartig geschieht oder ob die Behauptung lange überlegt und aufgebaut wurde, sind ein Teil unseres Alltags. Wir lügen, um uns selber oder andere zu schützen, um besser dazustehen oder um eine Peinlichkeit zu verbergen. Es gibt viele Gründe, weshalb jemand zu einer Lüge greift, und mindestens ebenso viele Möglichkeiten, dem Gegenüber eine Lügengeschichte zu unterbreiten. Doch wir belügen nicht nur unser Umfeld. Einige der stärksten Lügen erzählen wir uns selbst.
Vielleicht kennst Du das: Du hast ein Date mit deinem Schwarm. Natürlich möchtest Du ihn oder sie beeindrucken, von dir überzeugen. Vor Nervosität bist Du unruhig, möchtest auf keinen Fall einen Fauxpas begehen. Du hast Angst, einen Fehler zu begehen, dass er oder sie Dich nicht mögen könnte. In Deinen Gedanken hallt immer der eine Satz wieder, denn Du dir ständig lautlos aufsagst: Es wird alles gut gehen.
Positive Selbsttäuschung
Dies kann bereits an als eine Form der Selbsttäuschung gewertet werden. In Situationen, in denen man sich sehr unsicher und nervös fühlt, ist es nicht ungewöhnlich, dass man sich selbst einredet, dass alles so ablaufen wird, wie man es geplant hat. Dass keine Fehler unterlaufen werden und man schlussendlich Erfolg haben wird.
Es hilft dabei, die Nerven zu behalten und in stressigen Situationen Ruhe zu bewahren. Die Tatsachen, dass man möglicherweise nicht die besten Qualifikationen für den Job besitzt oder sich nicht ausreichend auf das Gespräch vorbereitet hat, werden verdrängt. Eigentlich kann doch nichts schief gehen und bestimmt wird man den Schwarm überzeugen, Job bekommen oder das Kundengespräch zu einem erfolgreichen Abschluss bringen.
Diese Art der Selbsttäuschung kann sich positiv auf den Betreffenden auswirken. Dieser verliert seine Nervosität und Angst, kann seiner Aufgabe mit Ruhe begegnen. Sich einzureden, dass man bestmöglichst vorbereitet ist, einem keine Fehler unterlaufen können, verleiht Selbstsicherheit. Herausforderungen können einfacher gemeistert werden, wenn man sich nicht ständig Sorgen macht und in Gedanken alles durchgeht, was man möglicherweise falsch machen könnte. Durch das Verschließen unserer Augen kreieren wir da nicht eine innere Scheinwelt und beobachten uns selbst in unterschiedlichen Situationen aus einer Art Vogelperspektive?
Gefahren der Selbsttäuschung
Es nicht immer gut, seine Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen. Die Realität zu verleugnen und die ernsthaften Fakten auszublenden, kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass man sich eine komplette Scheinwelt aufbaut. Die Fähigkeit, zwischen der Wirklichkeit und den eigenen Vorstellungen und Wünschen unterscheiden zu können soll bei der Selbsttäuschung umgangen werden. Was in Stresssituationen durchaus positiv sein kann, ist in Momenten ernsthafter Bedrohung eine Gefahr.
Angenommen, ein Haus in der Nachbarschaft fängt Feuer und brennt nieder. In diesem Haus befinden sich noch Menschen, welche aber durch das Feuer eingesperrt werden und nicht entkommen können. Ein Anwohner bemerkt dies und beschließt, zu helfen. Er redet sich ein, wenn er nur schnell genug ist, kann er die Menschen aus dem brennenden Haus befreien, ohne dass ihm irgendetwas zustößt. Der Anwohner glaubt, dass er in dem Haus schon irgendwelche Zimmer und Treppen finden wird, in denen das Feuer nicht tobt, dass er bestimmt einen sicheren Weg finden wird. In dem Glauben, die ganze Sache unbeschadet zu überstehen zeigt der Anwohner Mut und stürmt in das Haus. Er schätzt seine Fähigkeiten und die Umstände günstiger für ihn ein, als sie tatsächlich sind.
Doch auch bereits im alltäglichen Arbeitsleben kann Selbsttäuschung zur Gefahr für das physische und psychische Wohl werden. Ein Mensch, der glaubt, an seinem Arbeitsplatz nicht genug zu leisten, fürchtet, gefeuert zu werden, weil er nicht effektiv genug für das Unternehmen ist, spornt sich selber zu immer höheren Leistungen an. Er arbeitet immer mehr und mehr, um seine Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Da er jedoch davon überzeugt ist, nicht gut, nicht schnell oder nicht gründlich genug zu sein, kann er niemals seine eigenen Ansprüche erfüllen. Er fordert sich immer mehr, bis er an die Grenzen seiner Belastbarkeit stößt. Seine Selbsttäuschung kann in einem Burnout oder einer Depression enden.
Gefährlich wird die Selbsttäuschung auch, wenn das Umfeld in die Illusion mit hinein gezogen wird, indem man sie entweder für eine Bedrohung hält oder versucht, ihnen das Scheinweltbild aufzuzwingen.
Der Ursprung der Selbsttäuschung
Viele Menschen leugnen, was allgemein in der Gesellschaft als bewiesen und anerkannt gilt. An einen Klimawandel und die Erderwärmung glauben einige Leute heute immer noch nicht, wenngleich die Wissenschaft anderer Ansicht ist. Es gibt wenige Menschen, die den Holocaust während der Nazidiktatur abstreiten, obwohl dieser mittlerweile in die Historie eingegangen ist und in Deutschland rechtlich sogar verboten ist.
Die Selbsttäuschung ist nicht immer ein bewusster Prozess. Oft geschieht es, ohne dass der Betroffene selber einen Einfluss darauf hat.
Gerät unser Selbst-oder Weltbild in Gefahr, „verteidigen“ wir uns dagegen instinktiv. Fehler und unangenehme Wahrheiten können wir nur schwer hinnehmen, niemand möchte gerne zugeben, dass er komplett falsch lag. Den Fehler zu leugnen und die unangenehmen Tatsachen auszublenden ist hingegen weitaus einfacher. Erkennt man , dass alles, woran man bisher geglaubt hat, alles, wovon man vollkommen überzeugt war, durch Tatsachen wiederlegt werden kann, kann man sich keiner Sache mehr gewiss sein. Woran soll man noch glauben, wenn das, was einem bisher als richtig erschien, auf einmal falsch ist? Man verliert seine eigene Selbstsicherheit und empfindet ein Gefühl von Schwäche. In solchen stark belastenden und unangenehmen Situationen sucht man nach einer Möglichkeit, seine Sicherheit wieder zu gewinnen.
Selbsttäuschung kann auch aus dem Wunsch nach Hoffnung entstehen. Wenn Fehler oder schreckliche Katastrophen geschehen sind und wir die unschönen Konsequenzen tragen, sind wir erschüttert. Menschen sollten nicht leiden, nicht unglücklich sein und keine Qualen erdulden müssen. Wer sich in einer qualvollen Situation befindet, beispielsweise große Schmerzen empfindet oder einen schweren Verlust erlitten hat, wünscht sich nichts sehnlicher als ein Ende dieses Leidens. Man redet sich ein, dass, egal wie grauenhaft und schlimm die Situation im Moment ist, alles doch schlussendlich gut werden wird. Menschen mit einer schweren, tödlichen Krankheit und ihre Angehörigen reden sich oft ein, dass irgendwie ein Heilmittel gefunden wird, versuchen jede mögliche Therapie. Wird eine Person vermisst, so sind die Angehörigen meist fest davon überzeugt, dass diese Person irgendwo noch am Leben ist, dass sie zurückkommen wird und nicht gestorben ist. Auch wenn die Lage eigentlich aussichtslos ist, gibt man den Glauben daran, dass alles wieder besser wird, nicht auf.
Egal, wie abwegig eine Behauptung oder eine Ansicht auch sein mag, jemand, der sich selbst täuscht blendet die Tatsachen aus und redet sich ein, dies sei die Wahrheit. Notfalls werden Fakten so zu Recht geschnitten, dass sie in das Scheinbild des Betroffenen passen. Beispielsweise werden Berechnungen oder Statistiken so langen bearbeitet, umgestellt und erweitert, bis sie das gewünschte Ergebnis zeigen welches in die vorgestellte Realität zu passen scheint und diese stützt.
Dies kann hilfreich sein, wenn die Selbsttäuschung dazu angewendet wird, in einer unerträglichen Situation Hoffnung zu fassen oder unter großem Stress nicht zu verzweifeln. Jedoch können durch Selbstbetrug auch gefährliche Illusionen und Scheinwelten entstehen, welche den Betroffenen und sein Umfeld schädigen.