Arm und vegetarisch

Schon mal darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn du kein Geld hättest um dir Essen zu kaufen? Man könnte es auf die deutsche Art und Weise machen, sich auf die Straße setzen und ein bisschen betteln – das ist richtig. Aber viel schöner wäre es doch, man würde sich an dem Punkt komplett vom kapitalistischen Lebensstil Europas abkapseln und sich an den armen Menschen in Entwicklungsländern ein Beispiel nehmen. Nehmen wir zum Beispiel Olanda:

Sommer 2015, ich bin in Mexiko unterwegs mit meiner ehemaligen Gastfamilie. Unsere aktuelle Station: Der Bundesstaat San Luis Potosí. Heute Morgen sind wir alle um halb vier morgens aufgestanden, damit wir um sechs Uhr morgens, pünktlich zum Sonnenaufgang beim „Sótano de las golondrinas“ oder „Die Schwalbenhöhle“ sein können. Um dort hinzukommen fahren wir fast eine Stunde lang die enge Serpentinenstraße eines Berges hoch. Oben angekommen stehen die Straße lang noch ungefähr 100 kleine Häuschen und Bungalows, dann hört sie einfach auf.

Dieses abgeschiedene Dörfchen ist beauftragt worden, sich um den sótano (Die Höhle) zu kümmern und den Tourismus dort zu organisieren. Der Punkt ist, das ist das Einzige was sie dort oben machen können, davon leben sie. Mindestens zwei Familienmitglieder, der 80 dort lebenden Familien, begleiten die wenigen Touristen die 40 Minuten abwärts die man noch laufen muss um zu der Höhle zu gelangen.

Wir werden von Lorena geführt und erzählen ihr, dass wir noch nicht gefrühstückt haben und fragen sie, ob wir oben im Dorf nach dem Spektakel, das uns erwartet, etwas zu essen kriegen könnten. Ohne zu zögern, lädt sie uns zu sich nach Hause ein, ihre Mutter sei eine hervorragende Köchin und würde sich freuen für uns zu kochen. Das mache sie öfters, sie genießt es die Geschichten der Touristen aus anderen Ländern im Gegenzug für eine Mahlzeit zu hören. Wir freuen uns und sagen sofort zu.

Nein, sogar Bungalow ist übertrieben.

Nachdem wir mittlerweile sechs Stunden auf den Felsen gesessen haben und darauf gewartet haben, dass das große Spektakel losgeht und tausende von Schwalben aus der zweittiefsten Höhle Mexikos geschossen kommen, haben wir die Warterei satt. Wir sind übermüdet und hungrig. Also geben wir Lorena, die die gesamte Zeit auf uns gewartet hat, Bescheid und sie führt uns den Weg zurück (diesmal bergauf, daher mache ich hier jetzt keine Zeitangabe dazu wie lange wir gebraucht haben für den Weg). Ihre Mutter wartet schon.

Olanda wohnt in einem Bungalow. Nein, sogar Bungalow ist übertrieben. Es sind fünf Holzstämme, die aus der Erde ragen, worauf weitere fünf Holzstämme liegen, auf denen weitere Holzstämme liegen, die spitz zusammenführen, die wiederum mit irgendwas verwebt sind, worauf dann Palmenblätter gelegt wurden. Der Boden ist, wie gesagt, die pure, einfache Erde von Mutter Natur.

Während meine ehemalige Gastfamilie und ich um einen Tisch sitzen (bestehend aus zwei dickeren, kürzeren Holzstämmen auf mit einer Holzplatte obenauf), wuseln auf dem Boden kleine Küken, Babykatzen, Hunde und weiteres Kleintier um uns herum. Hinter einer sporadischen Trennwand aus ein paar Holzblättern sitzen drei kleine Jungs. Auf einem kleinen Röhrenfernsehen sehen sie Spongebob, ab und zu lugen sie neugierig hervor. Mama Olanda steht barfüßig am Tisch und erzählt mit einem konstanten Grinsen im Gesicht von dem Leben der Ärmsten der Armen. Nebenher stanzt sie Tortillas, aus selbst gemachtem Tortillateig, aus der eigenen Tortillastanze, welche aus hauseigenem Tortillateig … (ihr wisst schon).

Olanda und ihr Mann haben neun Kinder, die zwischen 12 und 35 Jahre alt sind. In ihrem Dorf sei das nichts Ungewöhnliches, sagt sie. Zwar müsse man mehr Familienmitglieder ernähren, gleichzeitig arbeiten auch mehr Leute daran, dies zu finanzieren. Dort oben auf dem Berg gibt es sowieso keine Läden. Alles wird selbst angebaut. Früchte, Gemüse, Kaffee, Kräuter einfach alles. Eier liefern die eigenen Hühner, die Milch die Kühe. Das Einzige, was gekauft wird, sind Zwiebeln, Zucker und Öl. Auf alles andere wird verzichtet. Sogar auf Reis! Denn auch der ist zu teuer.

Aber Mann-o-Mann war das lecker!

„La comida de los más pobres!“, betont Olanda immer wieder, und serviert uns direkt vom offenen Feuer Tortillas (gestanzt mit der Tortillastanze, aus selbstgemachten Tortillateig, und so weiter) auf die Teller. Es gibt „Chayote“ Suppe mit „Frijoles“, natürlich alles aus eigenem Anbau. Die Chayote stammt aus der Familie der Kürbisgewächse, wir essen allerdings nicht die Frucht selbst, sondern die jungen Blätter, die Spinatblättern ähneln. Frijoles sind schlicht und einfach die für mexikanisches Essen so typischen roten Bohnen.

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich ein nicht wirklich probierfreudiger Mensch bin. Es hat mich einige Überwindung gekostet, die wässrige, braune Brühe mit ein paar Blättern und Bohnen in den Mund zu nehmen. Aber Mann-o-Mann war das lecker!

Während wir also genüsslich unsere Suppe schlürfen, ist Olanda mal eben noch ihren Hühnern ein paar Eier klauen gegangen und bereitet diese jetzt auf einer ihrer vielen, verbeulten Pfannen, die an der „Decke“ des „Bungalows“ baumeln, zu.

Natürlich darf die „Salsa“ bei einem richtig mexikanischen Mahl nicht fehlen. Und natürlich ist auch die selbstgemacht. Ah, ich habe noch ein „natürlich“: Natürlich ist die auch gaaaar nicht scharf. In Mexiko ist keine Salsa scharf! Die Salsa befindet sich in einer großen Plastikflasche und besteht nur aus Chillischoten, Zwiebeln und Tomaten. Da wird nichts gewürzt, gepfeffert oder gesalzen! Die Soße wird eine Zeit lang ziehen gelassen, dann tut sie von allein ihr Übriges. Die servierte Salsa wurde bis jetzt „nur drei Wochen“ ziehen gelassen und ich sag euch, ich verzichte darauf zu wissen, wie sie nach zwei Monaten oder gar einem Jahr brennt, wenn sie dann doch ein bisschen „pica“ ist. Ich habe mir so sehr den Mund verbrannt („me enchilé“), dass nicht mal mehr das selbstgemachte, normalerweise mildernde, Maracujawasser helfen konnte!

Sie lassen oft Touristen bei sich schlafen, die seien immer alle so nett!

Apropos selbstgemachte Getränke. Dass Olanda und ihre Familie ihren Kaffee selbst anbauen, hatte ich ja schon erwähnt, dass sie ihn auch selbst rösten und mahlen noch nicht. Selbstverständlich durften wir auch davon kosten. Und ich war wieder überrascht wie gut er schmeckt! Der Kaffee enthält kein Koffein. Außerdem wird hier absolut kein Zucker zusätzlich benötigt, denn er ist von Natur aus süßer als ein Starbucks Caramel Macchiato. Nur nicht so künstlich! Sondern zart und weich. Einfach ein Traum (Oh Mann, ich bin echt ein Schleimer, passt auf, dass ihr hinter mir nicht ausrutscht).

Mama Olanda grinst noch immer. Will wissen ob es uns geschmeckt hat. Und wir, wir müssen nicht mal lügen als wir begeistert „JA!“ sagen. Verlegen zupft sie an ihrem zu großen, weißen T-Shirt mit Eifelturmmotiv herum. Mir geht das Herz auf. Ob wir uns noch ein wenig umsehen wollen, fragt sie. Das lassen wir uns natürlich nicht zweimal sagen und ihr Mann führt uns durch die kleinen Bäumchen und Sträucher, die überall auf dem kleinen Grundstück verteilt stehen und erklärt uns ganz genau, was das jetzt ist und was sie damit machen.

Im September sei ein großes Dorffest, da tragen alle Familien was zum Buffet bei. Das sei auch einer der wenigen Anlässe an welchem es Reis und Fleisch gäbe. Ob wir nicht auch kommen wöllten. Wir hätten auch einen Schlafplatz bei ihnen. Sie lassen oft Touristen bei sich schlafen, die seien immer alle so nett!

Schweren Herzens lehnen wir dankend ab, kaufen aber noch einen Beutel selbstgemahlenen Kaffee, verewigen uns in ihrem (übrigens wirklich schon ziemlich vollen) Gästebuch mit ein paar lieben Worten und lassen noch einige Flaschen Wasser, zwei Avocados und ein paar Kekse da, mehr haben wir leider nicht dabei. Ihre Freude scheint echt. Sie bestehen noch einmal darauf, dass wir herzlichst zu ihrem Dorffest eingeladen sind und bei ihnen immer ein Zuhause haben werden. Und zum ersten Mal habe ich in Mexiko das Gefühl, dass diese Aussage nicht nur eine Floskel ist!

Was wir daraus lernen Kinder? Geben ist Nehmen! Wenn selbst die Menschen „de lo más pobre“ dazu fähig sind, mit einer kleinen und doch so großen Geste, ein Mahl, ein Haus und eine Erinnerung zu geben, zu was können wir dann fähig sein? Denkt mal drüber nach! Ich tue es immer noch.

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