Macht uns Minimalismus glücklich? – Nein! Hier ein Plädoyer gegen Marie Kondo & Co.

Wir alle haben vielleicht ein, zwei (oder auch drei, vier, fünf …) Dinge zu Hause, die wir nicht wirklich zum Überleben brauchen, die einfach dastehen und Platz wegnehmen. Doch ausmisten ist nicht so leicht wie gedacht. Deshalb gibt es Hilfe von außen. Marie Kondo bringt mit ihrer Netflix-Serie den Minimalismus nach Deutschland – viele Deutsche folgen dem Trend. Doch ist Minimalismus wirklich so gut, wie er sich anhört? Hier folgt eine nachdenklich-kritische Betrachtung.

Wenn ich manchmal mir mein Zimmer ansehe, dann habe ich wirklich das Gefühl, dass ich zu viele Sachen besitze. Seien es Bücher oder andere Dinge (vielleicht braucht es nicht drei oder vier Eulenfiguren im Regal… oder vielleicht könnte man auch das Eine oder andere auch weglassen…). Bin ich dadurch jetzt schon ein Konsumopfer, das zu viele unnötige Dinge besitzt und anhäuft, nur weil es möglich ist? Dagegen muss etwas getan werden! Doch wie? Die Antwort darauf hat die in Amerika lebende Japanerin Marie Kondo. Sie gibt Tipps, wie man am besten ausmisten und zum Minimalisten werden kann. Doch taugt ihr Konzept wirklich?

Was soll ich denn tun, Frau Kondo?

Kondo bezeichnet sich selbst als Ordnungsberaterin. Sie gibt Kurse und Seminare, wo das Wegwerfen und Aufräumen gelernt werden kann – und das mit Erfolg. Spätestens seit der Netflix-Serie Aufräumen mit Marie Kondo kennen sie viele Deutsche und viele Deutsche wollen ihre Tipps auch umsetzen und sich so von Ballast in der Wohnung trennen. Für das Wegwerfen hat Kondo die „KonMari-Methode“ entwickelt. Sie besteht aus fünf kleinen Schritten:

  1. Alles auf einmal, in kurzer Zeit und perfekt aufräumen. (Man soll also nicht mehrere Tage aufräumen, sondern gleich alles anpacken – was bei einem großen Haus schon eine große Herausforderung sein kann.)
  2. Alle Dinge zum Aufräumen werden auf einen Haufen gesammelt.
  3. Macht es mich glücklich, wenn ich diesen Gegenstand in die Hand nehme? (Dann behalte den Gegenstand, sonst kommt er weg)
  4. Jeder Gegenstand, den man behält, bekommt einen festen Platz zugewiesen.
  5. Alle Dinge müssen dort richtig verstaut werden.

Eigentlich ist diese Methode also ziemlich einfach: Man nimmt alle Sachen aus einem Zimmer und legt sie erstmal auf einen Haufen. Bei jedem Gegenstand fragt man sich dann, ob einen der Gegenstand glücklich macht – dann wird er behalten, sonst wird er weggeschmissen. Alle Gegenstände, die behalten werden, werden nach einem festen System (dies erklärt Kondo natürlich auch) aufgeräumt. Dieses System wird beibehalten.

Das hört sich doch im ersten Moment ziemlich gut und einfach an, nicht? Hinter dieser Wegschmeiß-Methode steckt der Gedanke des Minimalismus, der jetzt, ebenso wie Kondo, zum Trend geworden ist.

Minimalismus – ein bewusster Verzicht

Der Grundgedanke des Minimalismus ist bewusster Verzicht. Also das sich bewusste Gegen-das-Ansammeln-von-Gegenständen-und-Anhäufen-von-Konsum. Man möchte mit diesem Gedanken also dem Konsumwahnsinn entfliehen und sich bewusst umentscheiden. Denn, wenn man weniger besitzt, so fühlt man sich freier und hat mehr Zeit für andere Dinge, wie die Menschen, die einen wichtig sind. Auch hier gibt es viele Tipps, wie man sich am besten reduzieren kann, ohne, dass man gleich seine Lieblingsstücke wegschmeißt (auch die KonMari-Methode wird aufgeführt.
Damit ergänzen und bauen die Gedankenwelt des Minimalismus und die Tipps von Kondo aufeinander auf. Auch ich habe versucht mit diesen Methoden auszumisten und es hat nicht geklappt. Stattdessen habe ich die vielen negativen Seiten gesehen, die beispielsweise bei Kondo nicht deutlich genug beleuchtet werden.

Es ist nicht alles Gold, was gerade in ist

So gut und schön die Gedanken, der Konsumreduzierung sind, so gibt es auch Schattenseiten. Erstens vielleicht das Offensichtliche: Man sollte es nicht übertreiben mit dem Wegwerfen, denn wenn man am Ende alles wiederkaufen muss, was weggeschmissen wurde, dann hat die ganze Aktion nichts gebracht (und teuer ist es auch noch). Auch engt zu viel Minimalismus das Leben ein und mindert auch teilweise unsere Kreativität, denn manche Menschen brauchen eben ihr kreatives Chaos, um arbeiten zu können. Wenn man bei Lebensmitteln zu minimalistisch lebt, dann hat man keine Reserven, wenn man vielleicht am Sonntag spontan Eier braucht. Was dann machen? Jedes Mal den nicht minimalistisch lebenden Nachbarn fragen? Dann verfehlt da doch auch das Konzept.

Die wirklich großen Probleme

Ich könnte jetzt ewig so weiter machen und viele kleine Probleme, die es gibt, aufzählen, aber ich sehe eigentlich zwei große Probleme, die alles andere überwiegen. Zum einen ist Minimalismus durch Marie Kondo ein Hype in Deutschland. Diesem Hype folgen ganz viele Menschen und hier entsteht Konkurrenzdenken. Man will der Beste sein und am meisten ausmisten. Doch was ist mit denen, die sich einfach nicht von ihren Gegenständen trennen wollen? Die sind dann out und Konsumopfer. So entsteht ein Klassendenken, wo andere abgewertet werden. Aber dem ist eben nicht so! Nicht jeder, der seine Sachen behält, der unterwirft sich gleich dem Konsum. Es kommt darauf an, woher die Sachen kommen und wie oft er sie kauft.

So kann ich mich beispielsweise nicht von meinen Büchern trennen. Na klar, nicht jedes Buch ist mein Lieblingsbuch und manche Bücher werde ich garantiert nicht mehr lesen, aber trotzdem sind sie meine kleinen Schätze. Warum soll ich mich dann von ihnen trennen, wenn ich weiß, dass es mir dann schlecht geht? Das ergibt für mich wenig Sinn, weil ich hier mein Leben so einenge, dass ich damit nicht glücklich wäre. Trotzdem sehe ich mich nicht dem Konsum unterworfen. Klar, kaufe ich Bücher. Das ist sogar ein Hobby von mir. Aber ich kaufe viele Bücher gebraucht und verleihe auch gerne meine Bücher, wenn jemand dieses lesen möchte. So erspart die andere Person es sich, das Buch zu kaufen, wenn sie dies nicht unbedingt will, und damit wurde auch ein Buch gespart. Es ist mir also wichtig, dass ich meine Bücher behalte, aber ich achte darauf, wie und wo ich sie kaufe und dass es nicht immer neue Bücher sein müssen.

Daran sollte man bei der KonMari-Methode denken und nicht in ein Klassendenken verfallen, nur weil es gerade modern ist minimalistisch zu leben. Jeder hat seine eigenen Gründe, warum er dieses oder jenes behält und niemand sollte sich deshalb schlechter oder besser fühlen.

Das zweite große Problem ist, dass gerade bei Marie Kondo nicht reflektiert wird wohin die ungeliebten und ausgemisteten Gegenstände hinkommen. Dabei gibt es heute sehr viele Möglichkeiten dafür. So kann man die Sachen spenden oder verkaufen. Dies wird aber kaum erklärt. Auf Seiten, die Tipps für ein Leben im Minimalismus geben, werden schon mehr Tipps aufgezählt. Mir ist dies trotzdem zu wenig, denn es darf nicht vergessen werden, dass gerade das nachhaltige Wegschmeißen sehr wichtig ist, wenn der ganze Minimalismus für einen nachhaltigen Lebensweg stehen soll.

Und schließlich wird weder bei Kondo noch auf den Minimalismus-Seiten, die ich gelesen, das Thema behandelt, warum wir so viele Sachen besitzen. Warum ist das so? Warum hat jemand 20 Tassen statt 3? Warum besitzt man vielleicht 10 Hosen statt 2? Warum sammelt sich immer wieder etwas an und warum habe ich manchmal das Gefühl, dass ich wirklich mal ausmisten sollte? Warum habe ich eine emotionale Bindung zu bestimmten Dingen und warum sind andere nur Last für mich? Diese Fragen, die wirklich an den theoretischen Kern des Ganzen gehen, werden kaum bis gar nicht behandelt. Dabei sind sie doch so wichtig, um zu verstehen, warum wir so handeln, wie wir handeln.

Ein Fazit: Es kommt auf jeden selbst an

Durch diese großen Probleme hat für mich der ganze Hype um den Minimalismus einen ungesunden Beigeschmack, sodass ich ihm wohl im Grunde sowieso kritisch und eher negativ gegenüberstehe. Ich mache einfach nichts, nur weil es ein Hype ist – vor allem nicht, wenn es mich in meiner Lebensqualität einschränkt. Noch mag ich es, wenn ich den Stempel aufgedrückt bekomme, ob ich ein „Konsumopfer“ bin oder nicht. Und schließlich ist für mich bisher der Ansatz von Marie Kondo und die vielen weiteren Tipps für ein minimalistisches Leben zu unreflektiert. Sie greifen das Phänomen (das man zu viele Dinge besitzt) auf, aber sie behandeln weder die Gründe noch die Ursachen.
Deshalb hat für mich das Ganze nur einen Mehrwert für die Zukunft, wenn an dieser Reflektion gearbeitet wird und jeder seinen eigenen Weg des Minimalismus gehen kann. Wenn ich meine Bücher nicht aussortieren will, dann ist das auch gut. Dann habe ich vielleicht weniger Klamotten im Kleiderschrank, aber ich muss mich nicht von etwas trennen, an dem ich wirklich hänge und mich auch nicht schlecht fühlen, wenn jemand anderes nur ein Buch und eine Hose im Kleiderschrank. Er macht eben seinen Minimalismus, wie ich meinen mache.

Deswegen hier mein Abschlussplädoyer: Versuche gerne auszumisten, aber mache es nachhaltig! Schmeiße also nichts weg, was du später wieder brauchen kannst (Wer hat zum Beispiel eine emotionale Bindung zu seinem Herd? Trotzdem werfen wir ihn nicht weg!). Werf nichts weg, was du später bereust. Begib dich nicht in das Konkurrenzdenken und versuche selbstreflexiv zu sein und dich manchmal zu fragen, warum du das jetzt kaufen willst, ob du es brauchst und warum es dir wichtig ist.

Mit diesen Gedanken wünsche ich dir viel Spaß beim Aufräumen und Ausmisten!

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