Auf einen Kaffee mit Napoleon

Ein Spaziergang durch die Wälder der Urzeit, eine Dinosaurier Safari oder der Besuch bei den eigenen Nachfahren – was gäbe der Mensch dafür, Vergangenheit und Zukunft wie ein Tourist bereisen zu können. Kleopatra und Karl den Großen kennenzulernen, erleben, wie es wirklich war im Dreißigjährigen Krieg, oder auch nur die Lottozahlen der nächsten Woche schon jetzt zu erfahren, das ist ein Menschheitstraum der fast so reizvoll ist wie das Fliegen. Während wir letzterem aber immer näherkommen, scheinen Zeitreisen unerreichbar, außer in der Fantasie.

Die Geburt der Science-Fiction

Sechs Jahre vor H. G. Wells Zeitmaschine (1895) reiste der Yankee am Hofe des Königs Artus bei Mark Twain ohne technische Hilfsmittel in die mittelalterliche Vergangenheit – durch einen simplen Schlag auf den Kopf. Seit dem 9. Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts beginnt für Zeitreisegeschichten einen kometenhaften Aufstieg. Ob mittels Zeitmaschine oder durch puren Zufall landen die Protagonisten in fremden Epochen, erforschen Vergangenheit und Zukunft.

Ob frühere Legenden (Kyffhäuser) und Geschichten wie die des Rip van Winkle, in denen die Helden allein durch besonders langen Schlaf oder komaähnliche Zustände die Zukunft kennenlernen, wirklich Zeitreisen darstellen, bleibt fraglich. Dann wären langjährige Komapatienten oder Menschen, die an Amnesie leiden, bereits heute Zeitreisende in der Realität. Tatsächlich zeigt der relativ enge Zeitraum, in dem die ersten Zeitreisen vorgestellt wurden, dass allein für die Vorstellung einer Bewegung in der Zeit gewisse Voraussetzungen nötig sind.

Es gibt kein Zurück

Mit der Entdeckung der thermodynamischen Entropie im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde der fruchtbare Boden für solche Gedankenexperimente geschaffen. Sie zeigte eine unumkehrbare Richtung der Zeit an, wie eine Straße ohne Wiederkehr. Erst die Vorstellung der Zeit als Weg reizte die Phantasie der Zeitgenossen in einer Weise, die eine physische Reise durch die Zeit möglich erscheinen ließ. Dabei lässt gerade die Entropie die Zeit unwiderruflich in eine Richtung voranschreiten und Reisen durch selbige physikalisch unmöglich werden. Eine der vielen Paradoxien auf dem Weg zur Zeitreise.

Weitere logische Probleme werden bereits bei der ersten modernen Zeitreiseerzählung, The Clock That Went Backward (1881) von E. P. Mitchell deutlich. Verändert eine Reise in die Vergangenheit und die damit einhergehenden Handlungen auch die Zukunft? Wenn ich meine eigene Zeugung durch mein Zutun verhindere, wie kann ich dann überhaupt durch die Zeit gereist sein, um sie zu verhindern? Das Großvaterparadoxon ist eines der Hauptthemen der Zeitreiseliteratur. Aufgelöst werden kann es einerseits durch die Annahme eines selbst konsistenten Universums – alles, was geschieht, ist vorherbestimmt und erst die Zeitreise ermöglicht den bekannten Verlauf der Geschichte, wie in den Romanen Das Jesus-Video (1998) und Der Jesus-Deal (2014) von Andreas Eschbach.

Eine andere Möglichkeit des Umgangs mit dem Großvater-Paradoxon bietet die Annahme paralleler Entwicklungen. Hier ist die Zeit keine Linie, sondern eher wie ein Baum vorzustellen. Jede Entscheidung, jede Wahl hat neue Abzweigungen zur Folge. Dies macht es schwer möglich, in die eigene Jetzt-Zeit zurückzukehren, denn allein die Anwesenheit des Zeitreisenden in der Vergangenheit kann zu ungeahnten Verwerfungen der Geschichte führen. Diese können beabsichtigt, wie in den Terminator-Filmen, oder unbeabsichtigt, wie in Ray Bradburys Kurzgeschichte The Sound of Thunder aus dem Jahr 1952 sein.

Letztere zeigt auch die Verquickung von Wissenschaft und Literatur. In einer extremen Interpretation der parallelen Zukünfte wird ein einzelner zertretener Schmetterling in der Urzeit zum Auslöser kleiner, aber bedeutender Veränderungen in der Ursprungszeit der Zeitreisenden. Zehn Jahre später beschreibt Edward Lorenz den Schmetterlingseffekt, bei welchem der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Sturm Wochen später verursachen kann. Die möglichen Veränderungen multiplizieren sich im Laufe der Zeit, aus wenigen Ästen des Baumes werden unzählige Verzweigungen.

Schon mal den Koffer packen?

Manche Autoren, wie Diana Gabaldon in der Outlander-Reihe, verzichten gänzlich auf Erklärungen, wie die Zeitreise zustande kommt. Damit kann vermieden werden, technische Lösungen zu suchen, denn die Physik hat darauf noch keine abschließende Antwort. Seit Einsteins Relativitätstheorie hat sich der Zeitbegriff gewandelt, Zeit und Raum erscheinen formbar wie Knetgummi. So haben sich zwar Türen geöffnet, die zuvor nicht denkbar waren. Aber das, was sich dahinter auftut, bleibt zunächst Spekulation.

Physikalisch gibt es mehrere Wege, wie Reisen durch die Zeit möglich sein könnten. Zeitreisen in die Zukunft sind prinzipiell möglich. Je näher ein hypothetisches Raumschiff der Lichtgeschwindigkeit kommt, desto langsamer vergeht die Zeit für seine Insassen relativ zu ihrem Heimatplaneten. Wären für die Astronauten im Schiff sechs Jahre vergangen, könnten auf dem Planeten sechzig oder sechshundert Jahre vergangen sein.

Das Gleiche geschieht durch starke Gravitationskräfte, die Raum und Zeit krümmen, wie bei einem schwarzen Loch. Raumschiffe im Orbit von schwarzen Löchern und Astronauten, die von dort noch näher an den Ereignishorizont aufbrechen, falls das sehr unwahrscheinliche Ereignis eintritt, dass sie überleben, wären ein gutes Beispiel. Thematisiert wird dies unter anderem in der Fernsehserie Andromeda. Das ist natürlich für die Literatur höchst unbefriedigend, eine Rückkehr in die Ursprungszeit ist psychologisch wesentlich effektiver. Sonst ist der Unterschied zum Jahrhundertschlaf nur minimal.

War früher wirklich alles besser?

Reisen in die Vergangenheit, die auch eine Rückkehr aus der Zukunft einschließen, wären nur durch weitere Bedingungen möglich, die dem derzeitigen Stand der Forschung nicht entsprechen. Etwa ein rotierendes Universum nach Kurt Gödel, in dem die gerichtete Zeit wieder zu sich selbst zurückkehrt. Dann würde man wie auf einer Kugel immer vorwärts laufen und käme dann trotzdem wieder am Ausgangspunkt an. Leider ist es bewiesen, dass unser Universum nicht rotiert, auch wenn ähnliche Effekte durch die Relativitätstheorie nicht ausgeschlossen werden.

Wesentlich charmanter erscheinen Wurmlöcher, die durch die Raumzeit wie Nadeln durch einen gefalteten Stoff führen. Sie werden auch oft in Literatur und Film aufgegriffen. Wie so häufig, steht hier die Star-Trek-Reihe an erster Stelle, aber auch Donnie Darko (2001) spielt mit der Möglichkeit von Verwerfungen in der Zeit durch Wurmlöcher. Der Film Interstellar (2014) wurde sogar durch den bekannten Physiker Kip Thorne beraten, so ist hier das Wurmloch der Theorie entsprechend kugelförmig, und nicht als saugendes Loch (wie zum Beispiel bei der Serie Sliders) dargestellt. Beweise für existierende Wurmlöcher gibt es bislang aber nicht, auch durch Experimente ließen sie sich nicht nachweisen. Ihre Existenz wäre nur durch sehr spekulative Konstruktionen denkbar, auch wenn sich außer Kip Thorne auch andere Physiker wie Stephen Hawking mit ihnen befassen. Solche Hypothesen bleiben nicht nur in der Fiktion, sondern auch in der Physik spannend.

Bei Star Trek werden Zeitreisen zumeist durch sogenannte Tachyonen ermöglicht, hypothetische überlichtschnelle Teilchen. Die Annahme, dass Überlichtgeschwindigkeit, so sie denn überhaupt möglich wäre, zu Zeitreisen führen könnte, ist zwar nachzuvollziehen (für den Beobachter würde sich das überlichtschnelle Teilchen rückwärts bewegen, obwohl es eigentlich vorwärts schießt), zu einer Rückwärtsbewegung von Materie durch die Zeit würde sie dennoch nicht führen. Tachyonen müssten Eigenschaften wie fehlende elektrische Ladung haben, die den Transport beispielsweise eines Raumschiffs unmöglich machen würden.

Hallo, spreche ich da mit Herrn Einstein?

Was Tachyonen allerdings ermöglichen könnten, wären Botschaften durch die Zeit. Das sogenannte Antitelefon, bereits 1907 durch Albert Einstein erdacht und später durch Richard Chace Tolman präzisiert, würde Nachrichten in die Vergangenheit schicken. Leider käme hier wieder das Großvaterparadoxon zum Tragen, weswegen sowohl Einstein wie Tolman den Gedanken schlussendlich als unpraktikabel verwarfen. Dennoch wird der Gedanke in der Literatur aufgegriffen, wie im Roman Timescape (1980) von Gregory Benford. Das Chronoskop in Isaac Asimovs Kurzgeschichte The Dead Past von 1956 führt dabei zwar nicht zu Kausalitätsproblemen, da man die Vergangenheit nur beobachten kann, aber nicht mit ihr kommunizieren. Dennoch wird diese Maschine zum Problem, denn sie kann auch durch den Raum blicken – die Beobachtung jedes noch so verborgenen Winkels auch der Gegenwart (schließlich könnte das Geschehen nur wenige Sekunden in der Vergangenheit liegen) lässt Orwells Big Brother alt aussehen.

Jede Spekulation im Hinblick auf eventuelle Reisen in Vergangenheit und Zukunft bleibt spätestens dann theoretisch, wenn man sich überlegt, welche Energie für Zeitreisen vonnöten wäre. Ein Raumschiff mit Lichtgeschwindigkeit auf eine Reise zu schicken, würde im wahrsten Sinne des Wortes unendlich viel Energie in Anspruch nehmen.

Zeitreisen im Hier und Heute

Auch wenn damit alle Theorien, die mit Zeitreisen zusammenhängen, auf einer rein philosophischen Ebene stattfinden, bleibt die Beschäftigung mit der Vergangenheit und Zukunft ein reizvolles Thema der Literatur. Im realen Leben kann man der Vergangenheit durch das Nachspielen geschichtlicher Ereignisse nahekommen, im Reenactment, oder durch das Eintauchen in ferne Zeiten in Filmen und Computerspielen. Zwar bieten diese Möglichkeiten nur eine Näherung an die Realität, unterhaltsam sind sie auf jeden Fall.

Die Zukunft können wir uns durch immer akkuratere Simulationen vor Augen führen. Genauere Vorhersagen sind aber auch in anderer Hinsicht schwierig: wer möchte schon den genauen Zeitpunkt des eigenen Todes kennen, oder wissen, dass seine Gesellschaft unwiederbringlich dem Untergang geweiht ist. Eine unbestimmte Zukunft ermöglicht das tröstenste aller Gefühle: die Hoffnung.

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